Wer nicht hören will, muss fühlen. (mit Update 1)

kritzelkratzel

Erfahrener Benutzer
#1
Ich bin bei der EMV-Prüfung mit meiner 3D-FPV-Kamera mit Pauken und Trompeten durchgefallen. So richtig, dass es nichts zu diskutieren gibt. Keine Ausreden, keine schlechten Argumente. Kein halbes dB hier oder da zu viel, das Gegenteil ist der Fall. Die Emissionswerte sind so überaus schlecht, wie ich es mir vorher nicht habe vorstellen können.

Ich habe in meinem jugendlichen Leitsinn echt geglaubt, dass man so etwas mit gutem Willen auf Amateurebene schaffen kann. Mit Muße einen Leiterplattenentwurf ausarbeiten, vier Lagen immerhin spendieren, hier und da zusammengesammelte Daumenregeln angewenden, sich an Mustervorlagen von Eval-Boards orientieren - Freunde der angewandten Elektronik, so geht es leider nicht. Egal wie gut aus- oder eingebildet man ist, über ein gutes Bastelniveau kommt man mit solchen Ansätzen leider nicht hinaus. Diese Erfahrung wird mich am Ende der nächsten Woche ca. 600 € kosten, plus MWSt.

Nachdem ich einen Tag lang mit mir gerungen habe, fiel mir die Entscheidung erstaunlich leicht, jetzt nicht einfach so sang-und-klanglos aufzuhören, sondern weiterzumachen. Ich gebe hier gerne zu - erst jetzt lerne ich, nach Jahren des Elektrotechnikstudiums und Promotion in theoretischer Elektrotechnik, wie EMV-gerechtes Leiterplattendesign richtig gemacht wird. Ich hatte früher, auch während der Studentenzeit, viele Leiterplatten entworfen, für mich selbst, auch für andere, ich fand das immer sehr entspannend, aber das waren halt die 90er Jahre. Die Prä-EMV-Ära. Aus heutiger Sicht betrachtet war das alles Kinderkram. Es hat funktioniert, aber es war nie ein Produkt. Je mehr ich jetzt lese und lerne, desto mehr wird mir bewusst, wie mangelhaft mein jetziger Entwurf eigentlich ist. Um es auf amüsante Art und Weise zu beschreiben, möchte ich euch zunächst eine Internetseite empfehlen: Die 10 besten Wege, die Emissionen deines Produktes zu maximieren.

Ich habe nach und nach die einzelnen Punkte durchgelesen, bestimmt bin ich bei der Hälfte dabei. :p Aber nun zu den Fakten. Ich habe (und lasse es noch, dazu später mehr) alles in Wismar bei CEcert vermessen lassen, sehr engagierte Leute dort, kann ich empfehlen. So lag also meine kleine Kamera im großen Labor an der Ostsee und harrte der Dinge, die dort kommen sollten.


Es wurde mit den Emissionsmessungen begonnen, also Kameraausgänge geeignet terminieren und die Kamera einfach laufen lassen. Weil für die Kamera nur der Batteriebetrieb vorgesehen ist, spare ich mir auch die gesamten Messungen der leitungsgeführten Störstrahlung. Die erste Messung sah dann wie folgt aus, die rote Kurve ist das zulässige Maximum des Quasi-Spitzenwerts, die X-Achse läuft von 30MHz bis 1GHz, der für mich maßgebliche Messbereich.


:eek: ... so ungefähr habe ich gekuckt. Ein riesiges Störspektrum im oberen Bereich und unterhalb von 1 GHz. Nachdem ich dann gedacht habe, ich könnte es mit einer neuen Firmware für den FPGA (Beeinflussung der Flankensteilheit und der IO-Treiberstärke) retten, noch ein Versuch:


Auch nicht besser, hier und da ein paar dB weniger, aber noch weit von dem entfernt, was eigentlich notwendig wäre. Die erste Spitze bei 54MHz = 2 * 27MHz ist übrigens der Takt vom SDRAM, den ich für die Synchronisation der beiden Sensoren brauche.

Ein genaues Betrachten der Diagramme enthüllt, dass zwischen den Spitzen immer eine Periodizität von 13.5MHz herrscht. Die kann man schon erklären. Der Systemtakt der Kamera ist 27MHz, d.h. alle 37.037ns kommt ein neues Byte aus den Sensoren raus, bzw. muss den FPGA in Richtung des Video-DAC verlassen. Das jedoch bedeutet, dass die Datenleitungen maximal mit einer Taktrate von 13.5MHz "toggeln" können. Und sie tun es offensichtlich. Ich habe also (neben anderen Dingen) auch ein Problem mit der Störstrahlung auf den Datenleitungen.

Wie soll es nun weitergehen? Konkret wird mich die Situation erst einmal zurückwerfen, mit der Markteinführung im Spätsommer diesen Jahres wird es sehr wahrscheinlich nichts werden. Statt dessen ist Nachsitzen angesagt:

  1. Ich werde noch prüfen lassen, welchen Beitrag zum Störspektrum das kleine FPGA-Modul bringt, welches ich auf der Kamera verbaue. Wenn das alleine schon alle Grenzen reißt, dann wird es in der Tat eng.
  2. Lernen ist angesagt. Ich ziehe mir gerade alles mögliche über EMV-gerechten Entwurf von Leiterplatten rein und bin auch an sachdienlichen Hinweisen von euch interessiert. Wer etwas beitragen möchte, bitte hier kommentieren oder mir eine PN schicken.
  3. Wenn ich mich fit genug fühle, werde ich einen neuen Entwurf machen. Eines ist jedenfalls jetzt schon klar, aus 4-Lagen-Multilayer werden 6-Lagen-Multilayer. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche und auch das Maximum dessen, was man im PCB-Pool als Prototypen bestellen kann. Wen es interessiert, warum das so sein muss, hier sind einige Hinweise. Dieser Sammelband von Einzelpublikationen (Seite 39 ff., Achtung: 16MB groß) ist auch recht interessant.
Der nächste Entwurf muss sitzen, deswegen darf ich keine Kompromisse machen. Es wird impedanzkontrollierte Leitungen geben, jede Signallage wird eine eigene Massefläche bekommen, peinlich wird bei Durchkontaktierungen auf den Signalrückflussweg geachtet werden müssen und einen Spread-Spectrum Taktgenerator werde ich wohl auch einbauen, um alle Optionen auszunutzen. Für den von mir avisieren Zielpreis hat das übrigens kaum eine Auswirkung, in der Serie kostet ein 6-Lagen-ML nur einen Euro mehr als ein 4-Lagen-ML.

Wie ihr seht, es gibt also einiges zu tun. Die EMV-Landschaft ist weit und offen. Wer nichts wagt, hat schon verloren.

[HR][/HR]2013-05-18 Update 1:
Ich habe jetzt die Ergebnisse von der Spezialmessung des FPGA-Moduls allein, also mit deaktivierten Kameras und deaktiviertem Video-DAC. Es sieht nicht gut aus, aber das habe ich eigentlich auch nicht anders erwartet:


Schon das Modul allein montiert auf der Kamera-Platine würde nicht durch die Prüfung kommen. Das heißt, dass meine Idee ein modulares Produkt anzubieten, solange nicht realisierbar ist, wie es den FPGA-Platinen nicht gelingt EMV-konform zu sein. Da ich nicht glaube, dass der Hersteller kurzfristig hier etwas machen kann, muss ich also die Kamera so aufbauen, dass ich keine extra FPGA-Platine mehr brauche.

Das hat verschiedene Vorteile, auch für mich wenn ich mir vorstelle, zu Hause im Kämmerlein die Kameras zu montieren. Auch könnte ich gewisse erkannte Defizite des jetzigen Prototypen gleich mit abstellen. Ich fange also in gewisser Weise beim Urschleim an.


Mein jetziger Favorit ist nicht mehr ein Spartan-3A FPGA von Xilinx, sondern ein MachXO2 von Lattice. Der hat so gewisse Vorteile, die bei Consumer Produkten so richtig rauskommen. Auch etwas, dass ich vorher hätte wissen sollen...
 

Ronny1407

Erfahrener Benutzer
#2
Das ist wirklich schade, ich hatte mich schon auf eine bald käufliche Version gefreut. Ist natürlich ärgerlich so viel Geld für die Prüfung ausgegeben zu haben und kein positives Ergebnis erreicht zu haben. Kopf hoch das wird schon noch..
 

kritzelkratzel

Erfahrener Benutzer
#5
Genau. Die Arbeit bleibt die gleiche, nur das Geld kann man sich leihen. Ich habe aber ehr kein Finanzierungsproblem, sondern das oben beschriebene technische Problem und auch ein Zeitproblem, weil ich nur in meiner Freizeit daran arbeiten kann. Immerhin konnte ich inzwischen einen Innovationsgutschein ergattern, über den ich im Erfolgsfall dann 50% meiner Netto-Aufwände für das EMV-Testen abrechnen kann. Das ist faire Sache.
 

nachbrenner

Erfahrener Pfuscher
#6
Hey Kritzel, grmpf schön ist anders. Aber wieder eine Gelegenheit interessante Dinge zu lernen :) Nur doof dass du zwischendurch kein Feedback erhälst sondern jeder Versuch kostet - Feedbackarmes lernen is immer anstrengend.

Finde es klasse wie du da dran bleibst und konsequent weiter machst!
 

McJameson

Erfahrener Benutzer
#7
Moin kritzelkratzel,
bleib bitte dran! Dein Projekt ist wirklich faszinierend und ich bewundere Deinen Enthusiasmus und Deine Ausdauer. :!:
Bzgl. der EMV-Wichtigkeit gebe ich Dir völlig recht: In den 90ern, also auch zu meiner Studienzeit, hat das keinen Menschen wirklich interessiert. Mittlerweile ist Elektromagnetische Verträglichkeit aber ein Top-Thema. Und wie teuer solche Tests sein können, habe ich erst kürzlich selbst erlebt, als wir ein bereits eingeführtes System in unserem hochkomplexen fliegenden System nachmessen mussten! Der "Spaß" hat uns fast eine halbe Million (!) Euro gekostet. Am Ende war dann glücklicherweise alles in Ordnung, aber ich habe während der Prüfungszeit reichlich graue Haare bekommen! Und die nächste Einrüstung eines nochmals komplexeren Systems steht schon auf der Agenda... :)
Insofern wünsche ich Dir das nötige Ingenieursgeschick und das Quentchen Glück, das niemals fehlen darf! :D
 

Heling

Erfahrener Benutzer
#8
Wenn ich an all die nackten Platinen auf den Quadrokoptern denke, da kommt sicher noch mehr heraus...
Jetzt verstehe ich auch, warum die kleinen Kameras in schweren Blechgehäusen stecken.
Ich bin gespannt, wie du deine EMV-Probleme in den Griff bekommst.

Micha
 
#9
Hallo Kritzelkratzel
Was hat Dich denn gehindert, alles in ein EMV-dichtes Gehäuse zu stecken. Das muss doch nicht schwer sein, da die Dicke des Blechs keine Rolle spielt, glaube ich zumindest. Es wären nur Öffnungen für die Linsen vorhanden, die auch deutlich kleiner sein könnten als die Linsen selbst. Sie wirken dann wie eine Blende, die auch noch die Linsenfehler reduzieren. Es kommt nur weniger Licht durch. Da aber sicher immer am Tag geflogen wird, sollte dies kein Problem sein. Bei einer Öffnung von 5 mm sollte bis 5 GHz noch eine ausreichende Abschirmwirkung gegeben sein. Bleiben noch die Signal- und Batteriekabel. Hier sollte ein geeigneter Ferritring Abhilfe schaffen. Ein Test würde sich auf jeden Fall lohnen, da er gegenüber einem kompletten Redesign wesentlich einfacher und billiger wäre.
Gruss,
Gerd
 

kritzelkratzel

Erfahrener Benutzer
#10
@ nachbrenner, McJameson: Vielen Dank für die aufmunternden Worte. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.

@ ulbers: Der Punkt ist, ich wollte kein Gehäuse. Ein Gehäuse kostet Geld, speziell wenn es kundenspezifisch angefertigt werden muss und auch Mindestansprüchen an Aussehen erfüllen soll. Das bricht mir dann im Kosten- und Erlösplan das Genick, weil ich nicht gleich 1000 Gehäuse auf einmal bestellen kann. Meine Idee war es, das Gehäuse dem Endnutzer zu überlassen, weil jeder seine eigenen Vorstellungen zum Thema Gehäuse hat. Der eine mag eins aus Balsaholz bauen (so wie ich), der andere mag's lieber aus dem 3D-Drucker haben und dann dort seine FPV-Board-Kamera einbauen. Diese Flexibilität sollte der Endnutzer schon noch haben.

Wenn es dann auch ein richtiges EMV-Schirmgehäuse sein soll, dann sind nicht die Löcher für die Linsen das Problem, sondern ehr die Nahtstellen an den Kanten. Wenn dort Schlitze drin sind, dann pfeift es nur so raus. Ich denke mal, billige Gehäuse haben viele Schlitze und es macht konzeptionell keinen Sinn eine Kamera zu bauen, bei der das Gehäuse 50% der Kosten verursacht.

Die Kamera hatte übrigens bei allen Messungen schon einen Ferritkern am Batteriekabel. Hat leider nicht ausgereicht als Maßnahme. Man muss immer Gleichtakt und auch Gegentakt-Filterung mit einbauen. Dafür gibt es schon fertige SMD-Bauteile zu kaufen, die ich nur hätte mit auflöten brauchen. Wenn ich es vorher gewusst hätte...
 
#11
Hallo Kritzkratzel
Ich war natürlich von einem Gehäuse ohne Schlitze ausgegangen. Was sagst Du aber zu folgender Idee. Die ganze Schaltung wird mit isolierendem Kunststoffspray eingesprüht und danach mit einer selbstklebenden Alufolie EMV-dicht beklebt. Dann bleibt immer noch die Freiheit für ein individuelles Gehäuse. Ich habe z.B. solch eine Alufolie, mit der kann man Heizungsrohre abgasdicht und Regenrinnen wasserdicht verkleben. Die Folie ist sehr dünn und leicht. Sonst bleibt wirklich nur das Redesign.
Gruss,
Gerd
 
#12
Noch eine Idee. Es gibt auch leitfähige Farbe. Das Einpinseln wäre noch einfacher. Ich weiss allerdings nicht, ob hier die Leitfähigkeit für die Abschirmung ausreicht.
 
#14
das ist echt schade, wo das ding doch so gut läuft... aber vielleicht reicht ja wirktich ein leitfähiger überzug!? erst plastidip und dann die leitfläche, fertig!
das ist so primitiv einfach, dass es sogar funktionieren könnte! :)
aber trotzdem, sehr schön dass du weiter machst!
 

waschtl

Neuer Benutzer
#15
Hey,
cooles Projekt, 3D-FPV setzt bestimmt noch mal einen obendrauf :)

Hast du ne Möglichkeit, selbst die EMV zu messen? Müsste per Oszi ja machbar sein, oder? Son Billig-Schätzeisen kriegste bei ebay fürn paar Kröten aus China. Die Endabnahme kannste damit natürlich nicht machen, aber zumindest ne Tendenz sollte damit ja feststellbar, sein, oder?

Gibts überhaupt schon vernünftige Brillen, die das können? Oder hast du das nur zur Aufzeichnung gedacht...?

lg basti
 

McJameson

Erfahrener Benutzer
#16
@waschtl
Das hilft Kritzelkratzel leider nur bedingt, da er ja plant, die Kamera kommerziell zu vertreiben. Dazu braucht er die CE, und die bekommt er nur mit einem offiziellem EMV-Testbericht eines anerkannten Labors.
Außerdem ist das so eine Sache mit dem Messen von HF. Ein billiges Oszi hilft Dir da leider nicht weiter! Du brauchst eine reflektionsfreie/-arme Kammer, gute Antennen und einen grundsoliden Spektrumanalyzer, um der HF auf die Spur zu kommen. Ansonsten misst Du alles - nur nicht das, was Du suchst! :)
Ein Freund von mir hat sich da mal 'nen Wolf während des Studiums gesucht, bis er gemerkt hat, das sein CD-Spieler (das war noch vor der MP3-Ära) ihm seine Meßergebnisse versaut hat!
 
#17
@waschtl

Die neue Cinemizer OLED kann das 3D Bild dieses innovativen Kamerasystems darstellen.
 

Fpvjosh

Erfahrener Benutzer
#18
@kritzelkram Gewicht bitte nicht vernachlässigen. Platinen einsprühen - ne das find ich rumschlamperei. Die Elektronik sollte gut verpackt werden. Wenn du nur geringe Stückzahlen und günstig brauchst, dann lass ein Gehäuse drucken. Kann dich gerne beim konstruieren unerstützen... Denke mit einem O-Ring und einem schicken Schnappverschluss hast du ein günstiges und gutes Gehäuse.
 
Zuletzt bearbeitet:
FPV1

Banggood

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